Reise nach Finnland und Schweden

23. - 26.01.2024

Was Deutschland von den NATO-Neumitgliedern lernen kann

In meiner Funktion als Mitglied des Auswärtigen Ausschuss, des Verteidigungsausschuss und der Parlamentarischen Versammlung der NATO bin ich Ende Januar für eine Dienstreise nach Schweden und Finnland gereist.

Finnland ist seit April 2023 NATO-Mitglied, während Schwedens Beitritt durch die fehlende Zustimmung der Türkei und zuletzt Ungarn noch ausstand. Doch ohnehin ist der Beitritt der beiden Staaten etwas besonderes: beide Länder waren traditionell bündnisfrei aufgestellt und daher einer NATO-Mitgliedschaft eher abgeneigt. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat diese Haltung auch in der breiten Gesellschaft grundlegend verändert. Die schwedischen Sozialdemokraten folgten im Mai 2022 der Entscheidung ihrer finnischen Schwesterpartei, sodass die beiden Länder gemeinsam den NATO-Beitritt beantragten. Dieser politische Wandel war einschneidend und hat die außen- und sicherheitspolitische Ausrichtung Schwedens und Finnlands maßgeblich verändert. Auch wenn insbesondere in Finnland hervorgehoben wurde dass man dort stets mit Vorsicht auf Russland geblickt habe.

Am 8. Juli 2022 habe ich in der Debatte im deutschen Bundestag für den Beitritt Schwedens und Finnlands argumentiert. Die breite Mehrheit der Abgeordneten stimmten dem gemeinsamen Gesetzesentwurf der Ampelkoalition und der Union zu, der die verfassungsmäßigen Voraussetzungen für eine Zustimmung von deutscher Seite regelt. So war Deutschland eines der ersten Länder die die Mitgliedschaft Schweden und Finnlands ratifizierten.

Daher war es mir ein Anliegen, in die beiden Länder zu reisen, um mit unterschiedlichen politischen, militärischen und (zivil-)gesellschaftlichen Akteur:innen in den Austausch zu treten. Ein Ausgangspunkt bei allen Gesprächen war der NATO-Beitritt und die Herausforderung unserer Partner:innen in der Neukalibrierung ihrer Sicherheitsidentität. Mich begleitete dabei insbesondere die Frage, wie der russische Angriffskrieg die Außenpolitik Schwedens und Finnlands verändert hat und wie dieser Kurswechsel innenpolitisch und in der Gesellschaft aufgefasst wird. Beide Länder sind sich der Gefahr schon länger bewusst und die Politik daher gedanklich weiter. So hatte Finnland, trotz wahrgenommener Gefahr, bisher auf Kooperation gesetzt. Doch mit dem Krieg investierte das Land vermehrt in Abschreckung, um sich der Bedrohung entgegenzustellen.


Sowohl in Finnland als auch in Schweden hat seit der Entscheidung der NATO beizutreten ein Regierungswechsel stattgefunden. In einem Land wird die Regierung von der extrem Rechten gestützt, im anderen sind die an der Regierung beteiligt. Daher sprach ich mit Akteur:innen vor Ort über die zukünftigen politischen Prioritäten der beiden Länder und inwieweit sie weiterhin die progressiven Partner sein werden, auf die wir hofften. Während sich in Finnland die Positionen zur Sicherheitspolitik zwischen den Parteien kaum unterscheiden, zeigen sich die Unterschiede deutlich in den Kürzungen bei der Entwicklungszusammenarbeit und auch der zunehmenden Hetze gegen Migration. 


Es ist trotzdem nach wie vor begrüßenswert, dass beide Staaten der NATO beitreten. Insbesondere Schweden kann mit seiner langjährigen Erfahrung beispielsweise in der Arbeit zu Gender Perspektiven im Militär und gender-responsible Leadership allgemein wichtige Impulse für die NATO liefern. Bei den Gesprächen mit Akteur:innen aus dem Außenministerium, dem Nordic Centre For Gender in Military Operations und auch der Folke Bernadotte Akademie wurde zudem deutlich, dass, trotz der offiziellen Aufgabe des Konzepts der feministischen Außenpolitik unter Schwedens konservativer Regierung, Schweden weiterhin wichtige Arbeit im Bereich Gender und Militär leistet. Daher ist Schwedens Vorreiterrolle in der NATO in diesem Aspekt weiter gefragt – und auch Deutschland kann hier für die eigene feministische Außenpolitik aus diesem Erfahrungstopf schöpfen.

Denn nicht zuletzt ging ich in den Gesprächen auch der Frage nach, was Deutschland von einer nun intensiveren Zusammenarbeit mit Schweden und Finnland für die eigene Sicherheitspolitik lernen kann. Dazu sprach ich im Anschluss mit T-Online, das könnt ihr hier nachlesen . In Schweden beispielsweise wird mit dem Konzept der „total defence“ das Thema Sicherheit und Verteidigung schon seit 2014 viel ganzheitlicher gedacht und nicht bloß auf Streitkräfte und Waffen reduziert, sondern auch der Zivilschutz in den Fokus gerückt. Und auch der Kampf gegen Desinformation wird in Schweden breit aufgestellt, etwa durch konkrete Ansprechpartner:innen für die Kommunen. Das könnte auch Deutschland widerstandsfähiger gegen diese Form der hybriden Angriffe machen. Finnland und Schweden hingegen werden bei der Planung und Umsetzung der Umstellung von Landes- auf Bündnisverteidigung von Deutschland und anderen NATO-Partnern lernen können. Mit vielen weiteren Gedanken auch zum Thema Abrüstung, zu Wehrpflichtsdebatten und zu einer feministischen Reflexion von Gesamtverteidigung als Konzept arbeite ich in Berlin jetzt weiter.